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Cathrin
Gast
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Verfasst am:
10.12.2011, 17:35 Thoi bao cap - Zehn verlorene Jahre |
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Vor 25 Jahren, vom 15. bis 18. Dezember 1986, fand der 6. Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams statt. Die 1.129 Delegierten, die 1,9 Millionen Parteimitglieder repraesentierten, konstatierten das Scheitern der damaligen Wirtschaftspolitik und beschlossen die sogenannte Politik der Erneuerung (Đổi mới), die nach 10 Jahren der Stagnation und des wirtschaftlichen Niedergangs eine entscheidende Wende einleitete. Die Zeit zwischen 1975 und Ende 1986 wird heute in Vietnam als Thời bao cấp bezeichnet. Uebersetzen koennte man das etwa mit Periode der Zuschusswirtschaft oder der subventionierten Wirtschaft.
Bereits vor fuenf Jahren gab es im Ethnologischen Museum von Hanoi eine Sonderausstellung zu dieser Zeit, in der recht offen und selbstkritisch die Defizite aufgezeigt wurden. Zu sehen war u.a. eine typische Wohnung in Hanoi zu Anfang der 1980er Jahre oder das sehr magere Warenangebot in den Geschaeften. Zur Zeit sind im Hồ Chí Minh-Museum in einer erneuten Sonderausstellung vor allem Dokumente aus jenen Jahren zu besichtigen.
Die Periode war gekennzeichnet durch eine zentrale Planwirtschaft, man koennte auch sagen Misswirtschaft. Sie brachte nur ein aeusserst knappes Warenangebot zustande, das fuer die normale Bevoelkerung zu einem taeglichen Ueberlebenskampf wurde. Privatinitiative war nicht gefragt, in vielen Bereichen sogar verboten. Fast alle Dinge des taeglichen Bedarfs erhielt man nur auf Lebensmittelmarken oder Bezugsscheine. Lediglich Gemuese wurde frei verkauft. Einige Betriebe zahlten sogar die Loehne und Gehaelter ihrer Mitarbeiter in Naturalien.
In Hanoi standen einem Erwachsenen je nach Schwere seiner Arbeit zwischen 13 und 25 Kilo Reis im Monat zu. Kinder erhielten je nach Alter zwischen 5 und 9 Kilo. Auch bei der Fleischzuteilung wurden Unterschiede gemacht. Eine Person mit eher leichter Buerotaetigkeit bekam 300 Gramm im Monat, ein Schichtarbeiter 700 Gramm und ein Polizist 1,5 Kilo. Dazu gab es monatlich z.B. 1 Kilo Fisch, 5 Liter Oel, 1 Liter Fischsauce, 500 Gramm Zucker und ein Stueck Seife, ausserdem 5 Meter Stoff pro Jahr. Selbst Naehgarn und -nadeln wurden nur auf Bezugsschein verkauft. Einem Festtag kam es gleich, wenn zusaetzlich noch ein kleines Stueck Schweinefett ausgegeben wurde.
Nicht alle Waren waren auch immer vorhanden. Hatten die Geschaefte z.B. keinen Reis mehr vorraetig, wurde dafuer Brot ausgegeben. Wer Verwandschaft auf dem Lande hatte, konnte sich gluecklich schaetzen. Obwohl dort damals alles in Genossenschaften organisiert war, gelang es fast immer, fuer die hungernden Angehoerigen in der Stadt etwas abzuzweigen.
Die Auswirkungen dieser falschen Wirtschaftspolitik, die den Menschen ein aesserst entbehrungsreiches Leben abverlangte, wurden noch verstaerkt durch die (mit Ausnahme einiger sozialistischer Laender) weltweite Isolation, in der sich Vietnam damals aus verschieden Gruenden befand. Alles zusammen trug dazu bei, zwischen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre mehrere Millionen Menschen als Wirtschaftsfluechtlinge aus dem Lande zu treiben.
Viele Gruesse
Cathrin
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Micha L
Anmeldungsdatum: 19.11.2003
Beiträge: 2668
Wohnort: Leipzig
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Verfasst am:
10.12.2011, 19:06 (Kein Titel) |
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Sehr interessant.
Aber solche Wohnungen gibt es noch genug. Die hier ist doch nicht schlecht, für die damalige Zeit sehr gut.
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Obi
Geschlecht:
Alter: 64
Anmeldungsdatum: 27.03.2008
Beiträge: 407
Wohnort: Nha Trang (u. Quoc Oai - Ha Noi) & Berlin
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Verfasst am:
10.12.2011, 19:50 (Kein Titel) |
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Der Fernseher und die Liege scheint aus der DDR zu sein. Gut eingerichtet für die damalige Zeit. Findet man heute auch noch viel und sogar zum Teil noch schlechter eingerichtet. Die Schere Arm / Reich geht immer mehr auseinander - weltweit.
_________________ Seit 1996 zusammen und seit 1998 (standesamtlich!) verheiratet mit einer Vietnamesin aus Hanoi (Yen Son - Quoc Qai - ehem. Prov. Ha Tay), zusammen zwei Söhne geboren 2000 und 2004.
Mobil in Viet Nam (0084) : 0975923630
www.vietnam-kompakt.de
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AndyNguyen
Geschlecht:
Alter: 67
Anmeldungsdatum: 18.11.2009
Beiträge: 2475
Wohnort: Berlin u. Hai Phong
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Verfasst am:
10.12.2011, 20:27 (Kein Titel) |
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Wenn die Wohnung eine Zeit, lange vor meinem Vietnam Interesse, zeigt, dann muss auch ich sagen, dass ich 2006 und 2009 in Haiphong weitaus weniger gemütliche Behausungen gesehen habe. Dann muss man leider auch festellen, dass entweder die Wirtschaftspolitik des Doi Moi gescheitert ist oder aber nur wenigen zu Gute kommt. Wenn man da man nicht die Planwirtschaft keck durch die vetternwirtschaft ersetzt hat.
Was die ehem. Planwirtschafen betrifft, so arbeitete man wohl nach dieser Defintition von Planung:
Planung heißt den Zufall durch den Irrtum ersetzen.
_________________ Ai làm nấy chịu
(dt.: Jeder ist für seine Taten selbst verantwortlich)
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Vung Tau
Gast
Anmeldungsdatum: 17.07.2011
Beiträge: 19
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Verfasst am:
10.12.2011, 20:53 Re: Thoi bao cap - Zehn verlorene Jahre |
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« Cathrin » hat folgendes geschrieben:
Vor 25 Jahren, vom 15. bis 18. Dezember 1986, ...
Fast alle Dinge des taeglichen Bedarfs erhielt man nur auf Lebensmittelmarken oder Bezugsscheine.
Lediglich Gemuese wurde frei verkauft. Einige Betriebe zahlten sogar die Loehne und Gehaelter ihrer Mitarbeiter in Naturalien.
In Hanoi standen einem Erwachsenen je nach Schwere seiner Arbeit zwischen 13 und 25 Kilo Reis im Monat zu. Kinder erhielten je nach Alter zwischen 5 und 9 Kilo. Auch bei der Fleischzuteilung wurden Unterschiede gemacht. Eine Person mit eher leichter Buerotaetigkeit bekam 300 Gramm im Monat, ein Schichtarbeiter 700 Gramm und ein Polizist 1,5 Kilo. Dazu gab es monatlich z.B. 1 Kilo Fisch, 5 Liter Oel, 1 Liter Fischsauce, 500 Gramm Zucker und ein Stueck Seife, ausserdem 5 Meter Stoff pro Jahr. Selbst Naehgarn und -nadeln wurden nur auf Bezugsschein verkauft. Einem Festtag kam es gleich, wenn zusaetzlich noch ein kleines Stueck Schweinefett ausgegeben wurde.
mich wuerde mal interessieren, wie der tatsaechliche Konsum der o.g. Guetern (in Hanoi) heute aussieht ?
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DG
Gast
Geschlecht:
Anmeldungsdatum: 07.07.2011
Beiträge: 23
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Verfasst am:
11.12.2011, 01:26 Re: Thoi bao cap - Zehn verlorene Jahre |
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« Vung Tau » hat folgendes geschrieben:
mich wuerde mal interessieren, wie der tatsaechliche Konsum der o.g. Guetern (in Hanoi) heute aussieht ?
Ich habe was gefunden, und zwar aus "Studie über die Nachfrage nach Lebensmittel in einigen Provinzen im Norden und Süden" von der "Institut für Politik und Strategie für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung"
Der Verbrauch
- in Ha Noi: 2.19 kg Schweinefleisch und 1,66 kg Fisch/Meeresfrüchte pro Person / Monat
- in Hai Phong: 2,37 kg Schweinfleisch und 2,52 kg Fisch/Meeresfrüchte pro Person / Monat
- in n Saigon: 1,52 kg Schweinefleisch und 1,74 kg Fisch/Meeresfrüchte pro Person / Monat
- in Da Nang: 1,55 kg Schweinefleisch und 2,54 kg Fisch/Meeresfrüchte pro Person / Monat
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Pho_Bo
Gast
Anmeldungsdatum: 27.02.2009
Beiträge: 745
Wohnort: Sachsen
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Verfasst am:
11.12.2011, 01:30 (Kein Titel) |
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Das Fernsehgerät ist aus der DDR.Typ Colortron oder Colormat gab es mit und ohne Fernbedienung.Kostete damals glaube ich so um die 3000-4000 DDR-Mark.Selbst für uns Ostdeutsche ziemlich teuer und kann mir nicht vorstellen,das ein Vietnamese den einfach mal so kaufen konnte.
Was die Ausstattung von vietnamesischen Wohnungen betrifft,so erlebt man immer wieder,das die Leute gar keinen Wert auf neue Möbel legen solange alte Dinge funktionieren.Das Haus der Großmutter meiner Frau hatte durchweg antike Möbel im Haus.Die Küche war schon etwas moderner.Im allgemeinen ist es wichtig,einen Altar in der Wohnung zu haben und jede menge Kitsch
MfG Bo
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Obi
Geschlecht:
Alter: 64
Anmeldungsdatum: 27.03.2008
Beiträge: 407
Wohnort: Nha Trang (u. Quoc Oai - Ha Noi) & Berlin
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Verfasst am:
11.12.2011, 02:23 (Kein Titel) |
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Wohnung eines Partei- oder Staatsfunktionärs würde ich mir gut vorstellen können. TV als Geschenk der DDR durch Honecker. Grins
_________________ Seit 1996 zusammen und seit 1998 (standesamtlich!) verheiratet mit einer Vietnamesin aus Hanoi (Yen Son - Quoc Qai - ehem. Prov. Ha Tay), zusammen zwei Söhne geboren 2000 und 2004.
Mobil in Viet Nam (0084) : 0975923630
www.vietnam-kompakt.de
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Catinat
Gast
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Verfasst am:
11.12.2011, 04:25 (Kein Titel) |
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Die “Nachkriegszeit” Vietnams mit seinen Umbruechen stellt der Autor Nguyễn Huy Thiệp in seinen 11 Erzaehlungen , deutsch : “Der pensionierte General” wunderbar dar.
In einem der “Rententhreads” hatte ich eine Kurzwiedergabe der Erzaehlung mit dem General gepostet.
http://www.forum-vietnam.de/go/viewtopic.php?p=44752&highlight=pensionierte#44752
Ich fuehlte mich an der einen oder anderen Stelle durchaus an die Jahre der Nachkriegszeit in Westdeutschland 30 Jahre davor erinnert. In einer Erzaehlung beschreibt , wie die Menschen aus der Stadt in Vietnam ein Schwein vom Land verbotenerweise an den Kontrollen vorbei zu sich befoerdern . (Ich bin mir nicht 100%ig sicher, dass es in diesem Buch Thiệps vorkommt, da ich es in Deutschland gelassen habe .) Das Schwein in einem Sarg , dessen Ueberfuehrung durch die “Trauernden” von den Kontrolleuren ohne Inspektion des Inhalts geduldet wird. Auch im hungernden Nachkriegsdeutschland war das Halten eines Schweins in der Stadt verboten. Meine Eltern hatten mit einer Hausgruppe zusammen doch auch eins heimlich im Keller.
Zu meinen groessten “Kindheitstragoedien” gehoerte, als ich bei Abwesenheit der Eltern dem Tropfgeraeusch auf dem Dachboden nachging : da hing mein Streichelkaninchen abgehaeutet vom Balken und sein Blut tropfte in eine Schuessel. Ich habe jahrzehntelang kein Kaninchenfleisch gegessen.
Ich habedoch noch manche solcher Erinnerungsanekdoten aus einer Zeit ohne Fernsehen ziemlich direkt nach dem Krieg und sammle solche auch fuer mich, wenn ich in Vietnam auf eine stosse. Von der alten Dame mit den zwei Jaderingen zum Beispiel , deren Bild ich im “Alltagsthread mit Bildern” hier posten durfte.
Kurze Zeit habe ich als Vorschulkind mit meiner Familie auch in einer Baracke gelebt , ohne eigene Moebel. Bis uns Ansaessige in einem Dorf eine Einzimmerwohnung herrichteten – neben dem Ziegenstall . Fuer mich war das ein kleines Paradies. Milch und Kaese von der Ziege esse ich heute besonders gern. Nachkriegszeiten . Mal unpolitisch .
Freundliche Gruesse, Catinat
Edit von Courti: Doppelpost entfernt.
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su-tu
Geschlecht:
Alter: 39
Anmeldungsdatum: 31.01.2009
Beiträge: 2035
Wohnort: Hai Phong
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Verfasst am:
11.12.2011, 11:45 (Kein Titel) |
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Die Geschichten, die Catinat aus seinen Erinnerungen an die Nachkriegszeit erzählt, sind Dinge die sich, die jungen Leute aus meiner Generation und den Generationene danach, schon gar nicht mehr vorstellen können.
Auch die neureiche "Bonzenschicht" Vietnams, kann mit dem Wort "Entbehrung" nicht mehr viel anfangen.
Wenn ich mir so anschaue, wie sich die "Nachkömmlinge" so verändern, weiss ich aber ehrlich gesagt nicht, was besser für die Menschen ist.
Was haben Beispielsweise die Enkel, ihren Enkeln später mal zu sagen?
Wie sie in ihrer Kindheit das 6 Level von Super Mario durchquert haben?!
_________________ http://keovietnam.blogspot.com
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su-tu
Geschlecht:
Alter: 39
Anmeldungsdatum: 31.01.2009
Beiträge: 2035
Wohnort: Hai Phong
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Verfasst am:
11.12.2011, 11:47 (Kein Titel) |
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Fände es übrigens sehr, sehr interessant, wenn sich diejenigen von euch, die die Zeiten der DDR und die des Nachkrieges zum Beipiel noch erlebt haben, ein bisschen intensiver darüber austauschen, welche Erinnerungen sie daran haben.
Wie das damals so war..
_________________ http://keovietnam.blogspot.com
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Micha L
Anmeldungsdatum: 19.11.2003
Beiträge: 2668
Wohnort: Leipzig
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Verfasst am:
11.12.2011, 12:03 (Kein Titel) |
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catbert
Gast
Geschlecht:
Anmeldungsdatum: 10.01.2011
Beiträge: 249
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Verfasst am:
11.12.2011, 12:23 (Kein Titel) |
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Cathrin
Gast
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Verfasst am:
11.12.2011, 12:44 (Kein Titel) |
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Catinat
Gast
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Verfasst am:
11.12.2011, 13:53 (Kein Titel) |
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Cathrins Bilder kann ich leider nicht oeffnen.
Zu Catberts Link .
Mit dem Begriff “verhaermt” , den ich kenne, hatte ich weniger zu tun.
Obwohl man das meiner Mutter manchmal haette anhaengen koennen. Aber sie war eigentlich noch zu jung dafuer. Mit dem “Hamstern” schon. Meinen Vater habe ich erst kennengelernt, als ich schon drei Jahre alt war. Er war mit einem Freund aus der Kompanie in die Waelder geflohen, um sich den Briten oder Amerikanern zu stellen. Die Franzosen hatte einen ganz schlechten Ruf, und von den Russen hoerte man Grausames.
Er wanderte dann an Wochenenden im Muensterland umher, um bei Bauern um Nahrung zu betteln, um zu “hamstern”.
Zusaetzlich zu dem Bericht erinnere ich mich noch daran, den Pferdemist , wenn Pferde vorbeigekommen waren, aufzuschippen, um etwas zum Verfeuern im Ofen zu haben. In solch einem Barackenlager wie dem gezeigten haben wir kurz auch gewohnt. Einen Brand, allerdings einen Hausbrand habe ich mit Vater und der schwer verletzten Mutter knapp ueberlebt.
Gebadet wurde einmal am Samstag in der Zinkbadewanne, die danach von den Seiferesten abgeschruppt werden musste. Und zwar erst ich, dann Vater, dann Mutter im gleichen Wasser, dann … .
PTBS – posttraumarische Belastungsstoerung – hatte ich auch mal im Forum gebracht. Worauf ein ganz Oberschlauer , ich weiss noch wer, das laecherlich machen zu koennen glaubte.
Ja, so ist das nach Kriegen. Und komisch : als typisches Nachkriegskind habe ich eigentlich nichts vermisst. Ich fand mich “reich”.
Freundliche Gruesse, Catinat
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