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 Zu Besuch bei den Tay

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Micha L






Anmeldungsdatum: 19.11.2003
Beiträge: 2668
Wohnort: Leipzig


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BeitragVerfasst am: 11.02.2004, 17:30    Zu Besuch bei den Tay Antworten mit ZitatNach oben

Die Tay sind eine nationale Minderheit, welche in den Bergen der nördlich von Hanoi gelegenen Provinz Ha Giang beheimatet ist.
In den 90ger Jahren haben wir wiederholt die Famile eines Schwagers in einem Dorf bei Bac Quang besucht. Für uns als Städter war das ein wahres Abenteuer.
Beladen mit Geschenken, insbesondere Lebensmitteln, die es in den Bergen nicht gibt, starteten wir mit einem Jeep von Hanoi in Richtung Viet Tri.
Das Gebirge beginnt hinter Tuyen Quang. Imposant ist ein Kegelberg in Verlängerung der Hauptstraße, der mit zur Seite geneigter Spitze einer phrygischen Mütze (auch als symbolträchtige Kopfbedeckung der französischen Revolution bekannt) ähnelt. Die bisher graue Erde nimmt einen ziegelroten Farbton an.
Entlang des Lo-Flusses schlängelt sich die Straße in Serpentinen bergan. Der Fahrer nahm die Kurven der recht schmalen Schotterpiste ohne mit der Wimper zu zucken und uns blieb nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen. Nach der x-ten Kurve legt sich die Spannung von selbst. Als wir im Fluß einzelne, verankerte Hausbote erblickten und man uns erklärte, da wären Golschürfer am Werke, kam eine Art von Wildwestromantik auf. Jedenfalls haben wir auf dieser Straße die Zivilisation hinter uns gelassen, ein Gefühl, das ich bisher, gerade in Vietnam, nicht kannte.
Das Flußtal rechts liegen lassend, erreichen wir mit Bac Quang wieder besiedeltes Gebiet. Der Ort liegt in der Landschaft verstreut und sein Kern besteht aus wenigen Häusern entlang der Hauptstraße. Diese verließen wir und befuhren einen Lehmweg. Unser Auto schaukelte so sehr, daß wir uns festhalten mußten. Nur mit Mühe konnte ich filmen, als wir an einer Furt einen Fluß durchfuhren.
Dann, inmitten von Feldern und Bergen, war die Fahrt zuende. Der Weg zum Dorf war nicht befahrbar. Wir stiegen aus, nahmen unser Gepäck und durchquerten einen Hohlweg. Dahinter öffnete sich eines der schönsten Panoramen, das ich je gesehen habe: Inmitten überfluterer Reisfelder verlief ein Dammweg auf von Bergen umrahmte Pfahlbauten zu.
Bald kam uns ein junger Mann entgegen, bei dem wir uns nach dem Haus der Familie erkundigten. Er wies den Weg und lief, ohne sich nochmals umzuschauen, weiter. Ich war sehr verwundert, war ich doch seit Menschengedenken der erste Europäer in dem Ort. Später merkte ich, daß die Leuete hier, abgesehen von den Kindern, weit weniger ihrer Neugier nachgeben, wie die Einwohner Hanois.
Das Haus der Familie lag malerisch am Fuße eines Berghangs, auf roter Erde, eingerahmt von Grün.
Zwischen den knapp mannshohen, das Haus tragenden Holzpfählen, waren die Haustiere (vor allem Hängebauchschweine, Hühner und Enten) untergebracht. Der Haustyp ist größer als die Bauernhäuser des Flachlands, rechteckig, mit strohgedecktem Spitzdach und einer umlaufenden Galerie. Man erreicht sie über eine Holztreppe an der Stirnseite.
Der Fußboden des Mittelgangs besteht aus aufgerolltem, elastischem Bambusrohr mit durchscheinenden Ritzen, was den Europäer sehr vorsichtig auftreten läßt. Beiderseits sind Abteile, im Prinzip Wohn-/Schlafplätze der Kleinfamilien, angeordnet. Den Haus- bzw. Familiengeistern ist eine kleine Gebetsnische gewidmet.
Am Ende des Gangs befindet sich die Küche, die inmitten des Holzhauses trotz des offenen Feuers tadellos funktioniert. Am hinteren Giebel endet eine aus Bambusrohren bestenende Leitung, aus der ständig frisches Bergwasser läuft.

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Privatfoto Liebig

Neben unserem Haus befand sich ein Fischteich, mit einer Miniaturausgabe des Gebäudes am Rand – der Toilette. Ja, die Fische essen, was den Menschen verläßt und werden dann selbst gegessen. Da dieser Kreislauf seit Jahrtausenden tadellos funktioniert, hatte ich keine Bedenken.
Im Bach neben dem Haus lief eine Mini-Turbine, mit der Strom für Glühbirnen, ja sogar für einen Fernseher (!) erzeugt wurde. Die Leute waren also autark und kamen, bis auf einige wenige „Luxusgüter“, ohne die Zivilisation aus.
Zu diesen Gütern gehörte auch moderne Bekleidung. Die traditionelle Tracht wurde meist von Frauen getragen. Zu einem schwarzen Kleid mit Kopftuch gehen sie barfuß.

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Privatfoto Liebig (meine Frau gefiel mir in der Tracht am Besten Smilie )

Zur Feier des Tages schossen die Gastgeber eine Gazelle, die mit brennenden Strohbündeln „medium“ gebraten wurde. Normalerweise werden zum Reis lediglich Fisch und etwas Gemüse verzehrt. Der auf der Galerie geduldig wartende Hofhund bekam die anfallenden Rester zugeworfen. Ansonsten wurde er nicht gefüttert.
Das Hauptgetränk war ein Aufguß aus frischen Teeblättern, geerntet auf dem familieneigenen Teefeld, daneben selbstgebrannter Reisschnaps, von dem die Tay mehr vertragen als die Leute der Ebene.
Der Schaps gab mir die nötige Schwere, für das nicht vorhandene Bett. Die guten Leute trugen alle entbehrlichen Decken zusammen. Trotzdem lag ich wie die „Prinzessin auf der Erbse“ im gleichnamigen Märchen.
Die Tay sind ein offenherziges Völkchen, das gern lacht. So auch über die Tatsache, daß wir (damals) nur einen Sohn hatten. Mit einiger Verspätung haben wir dann Fotos von unserem Kleinen nach Bac Quang geschickt und so unseren Ruf einigermaßen wieder hergestellt. Die Zahl der Kinder dort hat ungleich stärker zugenommen.

Was der Besucher zunächst als Paradies empfindet, ist keines. Im Streben nach Erleichterung geht die Ursprünglichkeit des Lebens allmählich verloren. Erste Anzeichen haben wir bemerkt und von dem, was wir sehen und erleben durften, gibt es Einiges schon nicht mehr. Wir bedauern das. Aber auf uns kommt es nicht an.

Micha L

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